Was bringen 300 Kilowatt Schnelllader
An neu gebauten Schnellladestandorten werden von GOFAST und anderen Anbietern zunehmend HPC-Lader mit Leistungen von über 300 Kilowatt installiert. Damit bleiben wir unserer Maxime treu, wonach die Ladeinfrastruktur nicht zum begrenzenden Faktor für die Elektromobilität werden soll. Was die hohe Leistung tatsächlich bringt und wie wir die Entwicklung einschätzen erläutern wir in diesem Blogbeitrag.
Als GOFAST im August 2016 als erster Anbieter in der Schweiz eine öffentliche Schnelladestation mit einer Leistung von 150 Kilowatt in Betrieb nahm, wurde dies (zu Recht) als Meilenstein für die Elektromobilität gefeiert (Artikel lesen). Kaum ein Fahrzeug war in der Lage, das volle Leistungspotential dieser Ladesäulen auszuschöpfen und man war der Meinung, dass die 150 Kilowatt bezüglich Leistung und Wirtschaftlichkeit für längere Zeit die sinnvollste Lösung bleiben würden. Mittlerweile überbieten sich die Ladesäulenhersteller mit immer höheren Leistungszahlen jenseits der 300 Kilowatt. Bei der laufenden Verbesserung der Batterietechnologie soll sichergestellt werden, dass nicht plötzlich die Ladeinfrastruktur zum begrenzenden Faktor wird. Wie diese Entwicklung einzuschätzen ist und was sie vor allem auch den E-Autofahrenden bringt, erläutern wir in diesem Blogbeitrag.
Haben 150 Kilowatt Schnelllader bald ausgedient?
Entlang der Autobahnen bieten Schnelllader mit Leistungen von 300 Kilowatt tatsächlich Vorteile, auch wenn die hohe Ladeleistung in der Realität nur von einzelnen Modellen und unter Alltagsbedingungen bislang eher selten beansprucht wird. Die bei GOFAST bezogene Spitzenleistung pro Fahrzeug liegt im Durchschnitt gerade mal bei 50 – 60 Kilowatt. Den Ladenetzbetreibern bietet die Installation von 300 Kilowatt HPC-Ladern aber die Möglichkeit, mit weniger Ressourcen und Kosten ausreichend Leistung pro Stecker bereitzustellen. So sollten bei den von GOFAST eingesetzten HPC-Ladern auch bei doppelter Besetzung der Ladesäule pro Stecker immer noch 190 Kilowatt zur Verfügung stehen. Signalwirkung Richtung 300 Kilowatt dürfte ausserdem auch die Mitte August 2021 angekündigte Ausschreibung zum Bau des «Deutschlandnetzes» mit 1'000 Schnellladeparks bis Ende 2023 haben, wonach die zugesicherte Leistung pro Ladepunkt mindestens 200 Kilowatt betragen soll. Beim Ausbau der Schnellladeinfrastruktur wäre der alleinige Fokus auf immer höhere Ladeleistungen aber zu kurzsichtig. Erstens, weil die grosse Masse an Fahrzeugen gar nicht in dieser Liga spielt. Zweitens, weil die Verfügbarkeit von Ladepunkten mindestens so wesentlich ist und drittens, weil dabei die Frage nach der Effizienz der Elektroautos ausser Acht gelassen wird.
Nur für eine handvoll Modelle relevant
Wie erwähnt, waren Ladekapazitäten von über 200 Kilowatt bislang neben bestimmten Modellen der Marke TESLA nur vereinzelt im Premiumsegment, wie beim Porsche Taycan, dem Audi e-tron GT und dem Mercedes EQS möglich. Erstmals kamen im 2021 nun mit den beiden Geschwistern Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 zwei Mittelklassefahrzeuge auf den Markt, die dank 800-Volt-Systemen eine Ladeleistung von über 220 Kilowatt erreichen können. Neben TESLA und dem Hyundai-Kia Konzern hegt derzeit allerdings kein anderer Hersteller ähnliche Ambitionen im Mittelklasse Segment und es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass 800-Volt-Systeme in absehbarer Zeit zum neuen Standard im Massenmarkt werden könnten. Auf der anderen Seite verdeutlicht sich aber, dass die Reichweitenproblematik aus Kosten-, Gewichts- und Ressourcengründen nicht einfach mit immer grösseren Akkus bewältigt werden kann. Vielmehr scheinen Fahrzeugingenieure eher auf häufigere kurze Ladestopps als auf grössere Batterien zu setzen. Hohe Ladeleistungen spielen für die Alltagstauglichkeit der Elektromobilität also durchaus eine Rolle. Doch auch hier sollte man sich nicht vom Auftrumpfen mit immer höheren Ladeleistungen blenden lassen.
Höhere Leistung bedeutet nicht zwingend schneller Laden
Selbst bei den Schnelllade-Champions jenseits der 200 Kilowatt gilt nicht immer: Mehr Leistung = kürzere Ladezeit. Erstens werden die hohen Leistungsspitzen in der Praxis nämlich nur selten erreicht, weil die realen Verhältnisse oft von den optimalen Bedingungen abweichen (Akkutemperatur zwischen 25-35 Grad und ein tiefer Akkuladestand um die 10 Prozent). Und zweitens ist für die effektive Ladedauer nicht unbedingt der maximal erreichbare Wert, sondern vielmehr die durchschnittliche Ladeleistung über den gesamten Ladezeitraum entscheidend. Werden die angegebenen Höchstwerte jeweils nur über einen kurzen Zeitraum erreicht, ist der Zeitgewinn eher vernachlässigbar. Wie lange ein Fahrzeug auf einem bestimmten Niveau lädt, wird an der fahrzeugspezifischen Ladekurve ersichtlich.
Ioniq 5 lädt trotz niedrigerer Maximalleistung am schnellsten
Ein Vergleich des Portals insideevs.de zwischen verschiedenen Schnelllade-Champions zeigt, dass Teslas Modelle S und 3 zwar mit rund 250 Kilowatt die höchsten Maximalwerte vorweisen können, bei einer Ladung von 20 auf 80 Prozent dann aber “nur” auf einen Durchschnittswert von 130 Kilowatt (Model S) respektive 94 Kilowatt (Model 3) kommen. Dank einem höheren Durchschnittswert kommen der Mercedes EQS (durchschnittlich 155 Kilowatt) und der Hyundai Ioniq 5 (durchschnittlich 170 Kilowatt) dagegen trotz tieferer Maximalleistungen auf eine insgesamt kürzere Ladedauer. Fahrzeuge mit einer konstant hohen Ladeleistung über den gesamten Ladezeitraum verweilen also am kürzesten an der Ladesäule. |
Frage der Effizienz wird nicht berücksichtigt
Bei der Diskussion um immer höhere Kilowattzahlen bei der Ladeleistung geht gerne vergessen, dass die Häufigkeit von Ladestopps und damit auch die Zeit, die E-Autofahrende insgesamt an Ladesäulen verbringen nicht zuletzt auch von der Energieeffizienz des Fahrzeugs abhängen. Die Gleichung lautet dann: Wieviele Kilometer Reichweite kann ich pro Minute nachladen? Bei gleicher durchschnittlicher Ladeleistung, lädt ein Fahrzeug mit niedrigem Verbrauch in der gleichen Zeit mehr Reichweite nach als sein Konkurrent mit höherem Verbrauch. Für die zukünftige Entwicklung der Elektromobilität ist es also wünschenswert, wenn auf Herstellerseite ein Hauptfokus auf die Effizienz der Fahrzeuge gelegt wird.