Rohdiamant oder Blender? Gemischte Gefühle beim IONIQ 5
Im Sommer 2021 konnten wir gerade noch eines der wenigen in der Schweiz erhältlichen Allrad-Modelle des Hyundai IONIQ 5 ergattern und unsere Firmenflotte mit einem der spannendsten Elektroautos des Jahres erweitern. Warum wir uns für das koreanische Kraftpaket entschieden und nach bald 20'000 Kilometern gemischte Gefühle haben erfährst du in diesem Blogbeitrag.
Zukunftsträchtige Ladetechnologie
Mit der im IONIQ 5 verbauten 800-Volt Ladetechnik werden immer höhere Ladeleistungen und damit auch immer kürzere Ladestopps möglich. Als Schnellladexperte macht es daher Sinn, auch selber über ein Flottenfahrzeug mit 800 Voltsystem zu verfügen. Und da sich unser Verwaltungsrat nicht von der Notwendigkeit eines Porsche Taycan im Fuhrpark überzeugen liess, haben wir uns halt für die erschwinglichere Alternative aus Asien entschieden. In seiner günstigsten Ausstattungsvariante ist der IONIQ 5 ab CHF 46'000 zu haben. Gleichzeitig sorgen wir als Ladeanbieter mit der zunehmenden Installation von Ladesäulen mit Leistungen über 300 Kilowatt und einer Ausgangsspannung von über 920 Volt dafür, dass die neuen Fahrzeuge ihr volles Potential beim Schnellladen auch wirklich ausschöpfen können.
Radikales Design
Endlich mal wieder ein Auto mit Ecken und Kanten! Es mag einem gefallen oder auch nicht, fest steht, dass den Koreanern beim Design ihres ersten, auf der neuen Electric Global Modular Platform (E-GMP) entwickelten Fahrzeugs, ein echter Wurf gelungen ist.
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Das kantige Design des IONIQ 5 mit dem steil abfallenden Heck und breiter C-Säule ist eine Hommage an den ersten von Hyundai 1974 selber entwickelten PKW, den Hyundai Pony I. Charakteristisch sind zudem die wiederkehrenden Pixel-Elemente, zum Beispiel bei den Scheinwerfern aber auch bei der Gestaltung des Innenraums. Damit will Hyundai den zunehmend digitalen Aufbau über den vier Rädern betonen. Nicht nur beim Antrieb, sondern auch bei der Materialwahl im Innenraum will Hyundai weg vom Erdöl hin zu mehr Umweltfreundlichkeit. Textile Verkleidungen, die offenbar aus PET-Flaschen hergestellt wurden, Ledersitze und sorgfältige Verarbeitung mit wiederkehrenden Pixel-Elementen und Sichtnähten sorgen für eine hochwertige Erscheinung. Auch das optionale Solardach markiert Energiewende und Nachhaltigkeit. Wer hier allerdings auf Autarkie hofft, muss enttäuscht werden. Bislang konnten wir gerade mal 0,7% des Energiebedarfs des Autos über das Solardach produzieren. |
Leistung und Fahrverhalten
Bei den Abmessungen hat der IONIQ 5 dann nicht mehr viel mit seinem ikonischen Grossvater gemeinsam. Mit seinen 4,6 Metern Länge und 1,6 Metern Höhe gehört er eher zu den kompakt SUV und ist in den Dimensionen etwa mit dem TESLA Model Y vergleichbar. Auch beim Gewicht spielt der Wagen batteriebedingt, wie die meisten Elektroautos, in einer höheren Gewichtsklasse und bringt leer satte 2,2 Tonnen auf die Waage. Bei unserem Modell handelt es sich um die Version mit Allradantrieb und einer kombinierten Höchstleistung von 225 Kilowatt respektive 305 PS. Obwohl diese Power durchaus spürbar ist, haftet dem Fahrzeug eine gewisse Behäbigkeit an. Die drei Meter Radstand sorgen für einen relativ grossen Wendekreis von knapp zwölf Metern, was zum Beispiel das Manövrieren in Tiefgaragen eher erschwert. Auch auf kurvenreichen Fahrten fordern Gewicht und Konstruktion ihren schwankenden Tribut. Auf relativ geraden Strecken und auf der Autobahn garantiert die Bauweise dagegen viel Komfort. Erfreulich für den geneigten E-Autofahrer: Mittels Schaltwippe kann beim Fahren auf volles One-Pedal-Driving umgestellt werden. Warum die Einstellung nicht standardmässig ist, bleibt dann aber Hyundais Geheimnis.
Prospektladeleistung insbesondere im Winter kaum zu erreichen
Die Nettokapazität der Batterie beträgt 72,6 Kilowattstunden. Die maximale Ladeleistung ist mit 220 Kilowatt angegeben. Bei diesen Werten sind theoretisch 100 Kilometer in weniger als fünf Minuten nachgeladen und der Akku bei einer durchschnittlichen Ladeleistung von 170 Kilowatt in nur 18 Minuten von 10 auf 80% gefüllt. Damit schlägt der IONIQ 5 beim Schnellladen derzeit jedes andere Modell auf dem Markt (ausser natürlich den technologiegleichen Kia EV6).
Wie sieht nun die Ladeperformance des IONIQ 5 im realen Alltag eines Elektromobilisten aus?
Tatsächlich waren im Sommer Ladeleistungen von 222 Kilowatt möglich, allerdings nur bei idealen Bedingungen. Das heisst bei Aussentemperaturen um die 25 Grad und einem tiefen Akkuladestand. In der kälteren Jahreszeit, und die dauert in unseren Breitengraden ja gut und gerne sechs Monate, macht sich dann aber bezüglich Ladeleistung einige Ernüchterung breit. |
Der Akku wird auch auf der Autobahn nicht warm
Generell sind bei unserer Nutzung im Winter Ladeleistungen um die 125 Kilowatt das höchste der Gefühle. Erstaunlich ist, dass der Akku auch bei längeren Autobahnfahrten über 200 Kilometer nicht richtig warm werden will. Exemplarisch dafür die Erfahrung unseres Adrian Annen, der während einem Serviceauftrag am 21. Dezember 2021 nach 270 Kilometern Autobahnfahrt und zwei fünfminütigen Ladestopps an unserem 150 Kilowatt Schnelllader in Martigny bei minus 7 Grad gerade mal eine Leistung von 63 Kilowatt ziehen konnte. Die Leistung steigerte sich im Verlauf des Ladevorgangs und erreichte dann 90 Kilowatt in der Spitze. Erfahrungsberichte aus dem Ausland zeigen zwar, dass die Erwärmung bei Geschwindigkeiten jenseits der in der Schweiz zulässigen 120 km/h besser funktioniert. Den Autofahrenden in der Schweiz und auch anderswo wird das aber kaum etwas bringen, da zweistündige Autobahnfahrten bei Tempo 150 einfach nicht dem alltäglichen Nutzungsverhalten entsprechen. Hinzu kommt der nicht gerade sparsame Verbrauch von durchschnittlich 25 kWh/100 km im Winter bei unserer Nutzung mit rund 90 Prozent Autobahn. Unsere erfahrungsgemässe Winterreichweite liegt bei 280 Kilometern. Die wenig aerodynamische Front des Fahrzeugs ist hier bestimmt nicht zuträglich.
Unser Kraftwürfel braucht für zusätzliche 100 Kilometer Reichweite also deutlich mehr Energie als beispielsweise sein weniger glamouröser aber halt wesentlich sparsamere Firmenkollege, der Hyundai IONIQ Elektro mit durchschnittlich 17 kWh/100km im Winter. Wenn die Ladeperformance bei kalten Temperaturen einfach nicht stimmt, verbringt man mit dem IONIQ 5 unter Umständen plötzlich mehr Zeit an der Ladesäule als mit Modellen mit weniger beeindruckenden Ladeleistungswerten. |
Falsche Hoffnung auf Softwareupdate
Zur Ehrenrettung des grundsätzlich tollen Wagens sei gesagt, dass im städtischen Verkehr und im Sommer sicherlich bessere Ladeleistungen und Verbrauchswerte um 18 kWh/100 km möglich sind. Fakt ist: Für ein Elektroauto, das die Schnellladefähigkeit zu seinen USPs zählt, ist eine derartige saisonale Abweichung einfach zu massiv. Offenbar hatten die koreanischen Ingenieure kein Konzept für eine Vorkonditionierung des Akkus und allenfalls das Problem der Akkuauskühlung unterschätzt. In der Community hält sich die Hoffnung, dass das Problem über ein baldiges Softwareupdate behoben werden könnte. Dies halten wir für ein Gerücht und gehen davon aus, dass es wohl erst mit dem neuen Akku des Modelljahres 2022 eine vernünftige Vorkonditionierung geben wird.
Piep, piep, piep, Hyundai hat euch lieb
Der IONIQ 5 verfügt über viele emsige elektronische Helferlein, die die Benutzer bei allen möglichen Situationen auf etwas hinweisen oder alarmieren. Für unseren Geschmack etwas zu viel des Guten. Hilfreich sind etwa die eingeblendeten Seitenkameras beim Abbiegen oder die 360 Grad Rundumsicht beim Parkieren. Dabei ist auch der sogenannte Autobahnassistent II, der Geschwindigkeit und Abstand zum vorausfahrenden Auto kontrolliert und teilautonomes Fahren ermöglicht. Es fällt allerdings auf, dass der Spurhalteassistent mit einem permanenten leichten Ruckeln nachjustiert. Enttäuschend ist das Navigationssystem, das keinerlei Ladeplanung beinhaltet. Bei einer Suche nach Ladestationen werden nur Ladestationen in der jeweiligen Umgebung und nicht entlang der geplanten Route angezeigt.
Fazit
Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Der Hyundai IONIQ 5 ist ein richtungsweisendes Elektroauto mit viel Qualität beim Design sowie bei Raum- und Fahrkomfort. Zudem ist es beachtenswert, dass hier mit dem 800-Volt-System eine exklusive und möglicherweise zukunftsträchtige Ladetechnologie für das Mittelklassesegment erschlossen wird. Auf der anderen Seite ist es genau diese Ambition, die hohe Erwartungen schürt und so dem IONIQ 5 auch zum Verhängnis werden kann. Insbesondere die fehlende Vorkonditionierung des Akkus und der damit verbunden deutliche Leistungsabfall bei kälteren Temperaturen ist ein relativ grosser Makel, der bei zukünftigen Modellen einfach behoben werden muss.
Mehr Ladeleistung dank höherer SpannungLeistung (P) = Spannung (U) x Stromstärke (I) Die physikalische Gleichung ist verlockend: Die Ladeleistung (P) ist das Produkt von Spannung (U) und Stromstärke (I). Mit einer Erhöhung der Spannung kann also das Problem der vergleichsweise langen Ladezeiten von Elektroautos verbessert werden. Während bei den gängigen 400-Voltsystemen und unter Einhaltung der Standards mit 500 Ampère Leistungen von maximal 200 Kilowatt möglich sind, lässt sich die Ladeleistung mit einer Erhöhung der Spannung steigern. |
400 Kilowatt möglich
Bei Erhöhung der Spannung auf 800 Volt ist also die gleiche Leistung bei der Hälfte der Stromstärke erreichbar. Bei der gleichen Stromstärke sind sogar 400 Kilowatt möglich. Neben der Leistungssteigerung bieten niedrigere Stromstärken den Herstellern die Möglichkeit einer Kostenreduktion durch Materialeinsparungen und daraus resultierende Zeitgewinne bei der Verarbeitung.
800 Volt nicht der neue Standard
Der Hyundai Ioniq5 und sein Schwestermodell der Kia EV6 sind neben einzelnen Luxus Sportwagen aktuell die einzigen Mittelklassefahrzeuge mit 800-Volt-Systemen. Bislang hegt auch kein anderer Hersteller in diesem Segment ähnliche Ambitionen und es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass 800-Volt-Systeme in absehbarer Zeit zum neuen Standard im Massenmarkt werden könnten.