Erfüllt der Polestar 2 die hohen Erwartungen?
Noch bevor der Polestar 2 hierzulande auf der Strasse ist, wurde das zweite Modell von Volvos gleichnamigem Elektro-Ableger von einer Fachjury zum Schweizer Auto des Jahres gekürt. Ob der Wagen sowohl beim Fahren als auch beim Schnellladen hält, was er verspricht, hat GOFAST Mitarbeiter Dominik in der Engadiner Bergwelt getestet.
Kaum ein anderes Elektroauto wird derzeit mit ähnlicher Begeisterung erwartet, wie der von der Volvo Tochter Polestar in China gebaute Polestar 2. Nicht wenige Tester kommen zum Schluss, dass die Schweden hier einen ernsthaften Rivalen zu Teslas Model 3 gebaut haben.
Gleichmal vorweg: Die sportliche Fliessheck-Limousine bietet tatsächlich eine Menge elektrischen Fahrspass. Die zwei an Hinter- und Vorderachse mit insgesamt 408 PS ausgestatteten Elektromotoren beschleunigen den Wagen in 4,7 Sekunden auf 100 km/h. Umso beachtlicher, als der Polestar 2 mit seinen über 2,1 Tonnen selbst unter Stromern nicht als Leichtgewicht gilt. Auch wenn es sich nicht um einen Sportwagen handelt, kommen sportliche Fahrer auf ihre Kosten. Das Fahrwerk ist straff abgestimmt und der Allradantrieb garantiert guten Grip auf der Strasse. Die in der Performance Variante eingebauten manuell einstellbaren Öhlins-Dämpfer (Dual Flow Valve) sorgen für zusätzliche Präzision. Die starke Rekuperation erlaubt konsequentes One-Pedal-Driving. Das Fahrzeug rekuperiert bis zum Stillstand und wird auch beim Stehen am Berg ohne Bremspedal gehalten.
18 Prozent geringere Reichweite im Winter
Die WLTP Reichweite des 78 kWh Akkus ist mit 470 Kilometern angegeben, gemäss Prospekt bei einem Stromverbrauch von 20 kWh auf 100 Kilometern. Auf unserer Teststrecke von Zürich nach St. Moritz betrug der durchschnittliche Verbrauch 25 kWh/100 km. Aufgrund der zu überwindenden Höhendifferenz von rund 1400 Metern und den winterlichen Temperaturen geht der erhöhte Verbrauch in Ordnung. Generell ist im Winter bei Elektroautos von bis zu 18 Prozent geringerer Reichweite auszugehen, wie ein Test von Norwegens Automobilverband NAF ergab.
Erstes Auto mit Android-Betriebssystem
Überzeugend ist beim Polestar 2 nicht nur die Hardware. Eine Weltneuheit ist nämlich, dass das Betriebssystem des Wagens erstmals serienmässig auf dem von Smartphones bekannten Android basiert. Das Touch-Display funktioniert denn auch fast wie ein grosses Handy auf dem via Google Play verschiedene benutzerdefinierte Apps heruntergeladen werden können. Neben der Google Sprachsteuerung ist die Verwendung von Google Maps als Navigationssystem ein grosses Plus. Der Polestar 2 verfügt damit über das zurzeit zuverlässigste Navigationssystem mit Liveverkehrsdaten. Bei der Routenplanung errechnet das System die Reichweite und empfohlene Ladestopps unterwegs. Selbstverständlich sind im System auch alle GOFAST Schnellladestationen aufgeführt.
Liebe zum Detail und Signature-Elemente
Wie wir uns das vom schwedischen Autohersteller gewöhnt sind, besticht der Wagen innen wie aussen durch eine hochwertige Verarbeitung. Im Innenraum bietet sich eine interessante und farblich schön abgestimmte Materialwahl mit nachhaltig produzierten Holzdekorelementen, Klavierlack und textilen Elementen. Bei diesen stellt sich allerdings die Frage, wie pflegeleicht die sind, wenn die Kleinen mal nach dem Ladestopp beim McDrive mit fettigen Fingern darauf rumtapsen sollten. Auffallend ist auch die Liebe zum Detail, wie zum Beispiel die Projektion eines kleinen Polestar Logos auf das beeindruckende Panoramaglasdach. In der Performance Variante zieht sich bei Sicherheitsgurten und Bremszangen das sogenannte schwedische Gold als Signature Element durch. Etwas Abzug gibt es allerdings beim Raumgefühl. Angelehnt an das konstruktionsbedingte Design eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor, wurde beim Polestar auch ein Mitteltunnel verbaut, der Fahrer- und Beifahrerseite voneinander trennt und den Raum aus unserer Sicht unnötig verengt.
Assistenzsysteme sorgen für Schreckmoment in der Tiefgarage
Der Polestar 2 ist mit zahlreichen Assistenzsystemen ausgerüstet, die mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden bieten sollen. Dazu gehört auch das Anzeigen von Verkehrsschildern auf dem Fahrerdisplay, deren Erkennung auf unserer Testfahrt allerdings nur selten funktioniert hat und mehr verwirrend als hilfreich war. Auch wenn Volvo beim Spurhalteassistent «Pilot Assist» Fortschritte gemacht haben will, orientierte sich das System bisweilen gefährlich nah am Strassenrand und erforderte wiederholt Dominiks eingreifen. Einen Schreckmoment bescherte uns am Ende gar der Notbremseassistent, der beim Einparken in der Tiefgarage etwas übervorsichtig eine Kollision vermutete und unerwartet abrupt intervenierte. Beim Parkieren wiederum hilfreich, können die Kameras an allen Seiten einzeln angewählt werden. Zudem bietet sich die Möglichkeit einer berechneten 360-Grad-Rundumsicht aus der Vogelperspektive, wobei die verzerrte Optik etwas gewöhnungsbedürftig ist.
137 kW Peak beim GOFAST HPC-Lader in St. Moritz
Nach gut 200 Kilometern abwechslungsreicher Fahrt über Chur durch die Region Viamala und über den verschneiten Julierpass auf 2'284 m.ü.M. erreichte Dominik schliesslich das einzigartige Winterwunderland Engadin. Bei gut aufgewärmtem und entleertem Akku boten sich ideale Bedingungen für unseren Ladetest beim GOFAST Schnelllader bei der Auto Mathis AG in St. Moritz. Und auch hier zeigt der China-Schwede eine gute Performance. Eingesteckt bei 5 Prozent, lädt der Polestar 2 während der ersten 10 Minuten beeindruckend mit über 130 kW und bis zu einem Akkustand von 50 Prozent konstant über 100 kW. Nach gut 40 Minuten war die Batterie wieder bis zu den für Schnellladungen empfohlenen 80 Prozent gefüllt und für die Talfahrt bereit.
Fazit
Der Polestar 2 wird seiner Vorschusslorbeeren gerecht und zeigt sich als tolles Elektroauto, das sowohl beim Fahrspass als auch in Punkto Design und Qualität überzeugt. Abstriche gibt es bei den Assistenzsystemen und bei der Effizienz. Bei ersteren können durch laufende Softwareupdates noch Verbesserungen zu erwarten sein. Was die Effizienz betrifft, hat die Performance des 2,1 Tonnen Schwergewichts leider seinen Preis. Der relativ hohe Verbrauch wird zwar mit dem grossen 78 kWh-Akku kompensiert, doch sollten die 25 kWh auf 100 Kilometer für zukünftige Elektroautos keine Orientierungsgrösse sein.